Ausdruck vom 19.04.2024

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© Sebastian Berger
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Keine Angst vor Patentrecherchen!

Von Marthe Le Blanc, Patent- und Markenzentrum Baden-Württemberg

1. Zuerst recherchieren, dann anmelden!

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Nach dem dritten Zusammenstoß mit einem Fußgänger und einem gebrochenen Finger kam Herr Düsentrieb auf den Gedanken, eine Bremse für Inliner-Rollschuhe zu entwickeln. Da er viel Schweiß und Zeit in seine „Erfindung” investiert hat, möchte er seine Idee schützen lassen. Was ist zu tun?

Als erstes gilt es zu prüfen, ob die Idee wirklich neu ist. Oft wird die Notwendigkeit einer Recherche mit dem Argument abgelehnt: „Das gibt es bestimmt noch nicht, ich habe es in keinem Laden gesehen”. Mag sein, aber um patentiert zu werden, muss die Erfindung zum Tag der Anmeldung beim Patentamt neu sein, und zwar weltweit, nicht nur in Deutschland!

Der Begriff der „Neuheit” schließt die auf dem Markt befindlichen Waren ein, ebenso wie Messeauftritte, Vorträge, Funk- und Fernsehaufführungen und vor allem Publikationen aller Art wie Bücher, Zeitschriften, Prospekte und natürlich Patent- und Gebrauchsmusterschriften. Ferner ist der Begriff der Neuheit nicht zeitlich beschränkt, sondern umfasst all das bis zum Anmeldetag vorhandene Wissen, sofern es potentiell jedermann zugänglich ist.

Jede Erfindung, die zum Patent oder als Gebrauchsmuster angemeldet wird, muss vom Patentamt veröffentlicht werden. 80 bis 90% der Informationen, die in dieser so genannten Patentliteratur stecken, werden nirgendwo anders veröffentlicht. In keinem Buch, in keiner Fachzeitschrift. Und ein Großteil der Erfindungen, die angemeldet werden, kommt nie auf den Markt. Wer also Patente und Gebrauchsmuster nicht recherchiert, verliert eine wertvolle Quelle technischen Wissens.

Neben der Anforderung der Neuheit, gibt es noch zahlreiche, weitere Gründe für eine Recherche:
Da in Deutschland keinen Anwaltszwang besteht, kann jeder selbst anmelden. Umso wichtiger ist eine Eigenrecherche, denn nur wer den Stand der Technik kennt, kann sich bei der eigenen Anmeldung umso besser von diesem abgrenzen. Die intensive Beschäftigung mit Patenten fördert außerdem ein besseres Verständnis für diese spezielle Materie. Die Formulierung fällt leichter, wenn man schon Original-Dokumente gesehen hat und diese als „Muster” benutzen kann.

Für ein Unternehmen, das seinen Platz in einem immer härteren Wettbewerb zu behaupten versucht, stellt Patentliteratur eine unerlässliche Grundlage für weitreichende technische, rechtliche und wirtschaftliche Entscheidungen dar.

Jede Patentanmeldung wird nach 18 Monaten vom Patentamt als so genannte „Offenlegungs-schrift” veröffentlicht. Bis zur Markteinführung des Produkts vergehen im Durchschnitt zwei bis fünf Jahre. Wer also heute neue Offenlegungsschriften überwacht, erfährt, was zukünftig auf den Markt kommen könnte.

Die regelmäßige Überwachung von Patentliteratur gibt Auskunft über die Aktivitäten von Mitbewerbern, über neue technologische Trends, und schützt davor, Geld, Personal und Energie in Doppelentwicklungen zu investieren. Ferner ist Patentliteratur eine hervorragende Quelle für Anregungen, um andere, bessere technische Lösungen zu entwickeln.

2. Wie führe ich eine verlässliche Recherche durch?

Natürlich bietet das Internet viele Recherchemöglichkeiten, aber wer schon mal probiert hat, Patente „à la Google” anhand von wenigen Begriffen zu suchen, merkt sehr schnell, dass diese Methode nicht ausreicht, um umfassend und zielführend zu recherchieren.

Hier steht Ihnen das Patent- und Markenzentrum Baden-Württemberg zur Seite. An unseren PC-Stationen können Sie kostenlos in einer Vielzahl von freizugänglichen und professionellen Datenbanken nach Patenten, Gebrauchsmustern aber auch nach Marken und Geschmacksmustern suchen. Unsere Mitarbeiter zeigen Ihnen, wie Sie fachgerechte Eigenrecherchen durchführen können.

Zusätzlich zu unseren kostenlosen Medien, führen wir auch gerne professionelle Recherchen in kostenpflichtigen Datenbanken für Sie durch.

3. Aufbau einer Patent- oder Gebrauchsmusterschrift

Auf den ersten Blick mögen Patentdokumente kompliziert, verklausuliert, ja fast geheimnisvoll erscheinen. Aber wer die wesentlichen Merkmale und Eigenheiten der Patentliteratur versteht, wird schnell auch deren Vorzüge erkennen.

Patent- und Gebrauchsmusterschriften sind einheitlich aufgebaut, und das weltweit. Unabhängig von der Sprache weiß man, was man vor sich hat und wo die wichtigen Informationen stecken. Dieser einheitliche Aufbau ist eine große Stärke dieser besonderen Literaturform.

Ein Patent oder Gebrauchsmuster besteht aus folgenden Teilen:

  • Das Titelblatt mit den Anmelde- und Publikationsdaten, dem Titel der Erfindung, eventuell einer Zusammenfassung und einer beispielhaften Zeichnung.
  • Die Beschreibung, in der die Erfindung detailliert offenbart wird. Sie weist im Allgemeinen folgende Punkte auf:
    • Eingehen auf den Stand der Technik, ggf. mit Angabe von bekannten Dokumenten
    • Nachteile des bekannten Stands der Technik
    • Technische Aufgabe, die sich der Erfinder stellt
    • Erläuterung des Lösungsansatzes, mit Ausführungsbeispiel(en)
    • Hervorhebung des Vorteils der Erfindung
  • Die Patent- oder Schutzansprüche. Hier stehen die technischen Merkmale, in denen sich die Erfindung vom Stand der Technik unterscheidet und für die Patentschutz begehrt wird. Man unterscheidet dabei zwischen dem Hauptanspruch (als erster benannter Anspruch) und den Unteransprüchen (ab dem zweiten Anspruch). Durch die Patentansprüche wird der Schutzbereich des Patents festgelegt. Da man bestrebt ist, einen möglichst umfangreichen Schutz zu bekommen – der auch Ausführungsvarianten mit abdeckt – werden die Ansprüche oftmals sehr abstrakt und verallgemeinert formuliert. So wird aus einer „Schraube” ein „Befestigungselement”, damit auch Varianten wie Clip, Nagel, Klettverschluss, usw. im Schutzbereich einbegriffen sind.
  • Die Zeichnungen stellen die einfachste Möglichkeit dar, den technischen Gehalt zu erfassen und dienen dem besseren Verständnis der Erfindung. Die meisten Patente und Gebrauchsmuster enthalten Zeichnungen.

4. Die Internationale Patentklassifikation (IPC)

Patente und Gebrauchsmuster erscheinen in einer Vielzahl von Sprachen. Um Erfindungen einheitlich und detailliert zu ordnen und das schnelle und sichere Wiederauffinden von Patenten zu ermöglichen wurde ein wirksames und international gültiges Instrument geschaffen: die Internationale Patent Klassifikation (IPC).

Die IPC ist ein Ordnungssystem, das das gesamte Gebiet der Technik widerspiegelt. Sie wird regelmäßig aktualisiert und ergänzt und besteht inzwischen aus ca. 70.000 Sachgruppen oder „Schubladen”.

Die IPC ist das wirksamste und effektivste Recherchewerkzeug überhaupt, weil man unabhängig von Stichworten, Synonymen und sonstigen fantasievollen Wortschöpfungen des Anmelders Patente und Gebrauchsmuster suchen kann.

Wenn man weiß, dass Inline-Rollschuhe in der Sachgruppe „A63C 17/06” einsortiert werden, spielt es keine Rolle mehr, ob sie in manchen Dokumenten „Einspurrollschuhe”, „Schuhe mit in einer Linie ausgerichteten Rädern”, „einspurige Rollschuhe”, „Inliner Skates” oder „Rollerblades” benannt werden. Und ob das Dokument in Japanisch, Spanisch oder einer sonstigen Sprache veröffentlicht wurde: über die IPC-Notation findet man sie alle. Für eine zuverlässige Internetrecherche ist deshalb die Benutzung der IPC unverzichtbar.

Die IPC hat einen hierarchischen Aufbau und besteht auf der obersten Ebene aus acht Sektionen:

  1. A Allgemeiner Lebensbedarf
  2. B Arbeitsverfahren und Transportieren
  3. C Chemie, Hüttenwesen
  4. D Papier, Textil
  5. E Bauwesen
  6. F Maschinenbau
  7. G Physik
  8. H Elektrotechnik
Diese Sektionen werden in Klassen, Unterklassen, Gruppen und Untergruppen immer feiner unterteilt.

Der hierarchische Aufbau wird mit Hilfe eines Punktesystems dargestellt. Ansicht online:
17/00 Rollschuhe; Rollbretter [4]
17/01 . Rollbretter (17/02 bis 17/28 haben Vorrang) [4]
17/02 . mit zweipaarig angeordneten Rollen
17/04 . mit anderweitig als in zwei Paaren angeordneten Rollen
17/06 . . einspurige Rollschuhe
17/08 . . . Einradrollschuhe
17/10 . mit endlosen Laufbahnen
17/12 . mit Antriebsvorrichtungen
17/14 . mit Bremsen, z.B. Zehenbremsen, Rücklaufhemmungen
17/16 . zum Gebrauch auf in besonderer Weise ausgebildeten oder angeordneten Laufbahnen
17/18 . umwandelbar in Eis- oder Schneeschlittschuhe
17/20 . mit feststellbaren Rollen, um mit den Rollschuhen gehen zu können
17/22 . Rollen für Rollschuhe
17/24 . . mit kugelförmigen oder sphärischen Laufflächen
17/26 . mit besonderen zusätzlichen Anordnungen, z.B. [...]
17/28 . mit Anordnungen zum Sitzen

Ansicht mit hierarchischem Aufbau:
17/00 Rollschuhe; Rollbretter [4]
  |--- 17/01 . Rollbretter (17/02 bis 17/28 haben Vorrang) [4]
  |--- 17/02 . mit zweipaarig angeordneten Rollen
  |--- 17/04 . mit anderweitig als in zwei Paaren angeordneten Rollen
         |--- 17/06 . . einspurige Rollschuhe
                |---17/08 . . . Einradrollschuhe
  |--- 17/10 . mit endlosen Laufbahnen
  |--- 17/12 . mit Antriebsvorrichtungen
  |--- 17/14 . mit Bremsen, z.B. Zehenbremsen, Rücklaufhemmungen
  |--- 17/16 . zum Gebrauch auf in besonderer Weise ausgebildeten oder angeordneten Laufbahnen
  |--- 17/18 . umwandelbar in Eis- oder Schneeschlittschuhe
  |--- 17/20 . mit feststellbaren Rollen, um mit den Rollschuhen gehen zu können
  |--- 17/22 . Rollen für Rollschuhe
         |--- 17/24 . . mit kugelförmigen oder sphärischen Laufflächen
  |--- 17/26 . mit besonderen zusätzlichen Anordnungen, z.B. [...]
  |--- 17/28 . mit Anordnungen zum Sitzen

Suche und Einsicht in die IPC im Internet unter https://depatisnet.dpma.de/ipc/